Josephine Brunsvik

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Gräfin Josephine Brunsvik als Gräfin Deym, unbezeichnete Bleistift-Miniatur, vor 1804

Gräfin Josephine Brunsvik de Korompa, 1799–1810 Josephine Gräfin Deym von Stritetz, ab 1810 Baronin von Stackelberg, (* 28. März 1779 in Preßburg; † 31. März 1821 in Wien) war eine Angehörige des ungarischen Adelsgeschlechts Brunsvik.[1] Sie war eine der zentralen Frauengestalten im Leben Ludwig van Beethovens, der ihr in den Jahren 1804 bis 1810/11 mindestens vierzehn zum Teil leidenschaftliche Liebesbriefe schrieb, in denen er sie unter anderem als „Engel“, „mein Alles“ und als seine „einzig Geliebte“ bezeichnete und ihr „ewige Treue“ schwor. Da sie „die einzige Frau [ist], die Beethoven nachweislich anhaltend und leidenschaftlich geliebt hat“,[2] hält eine Reihe von Musikwissenschaftlern Josephine auch für die Adressatin des berühmten dreiteiligen Briefes an die „Unsterbliche Geliebte“ vom 6./7. Juli 1812.[3] Ein endgültiger Nachweis dieser Hypothese konnte jedoch bisher nicht erbracht werden.

Kindheit und erste Ehe

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Josephines Brunsviks Vater Anton Brunsvik (1745–1793) starb im Alter von 47 Jahren und hinterließ seine Frau Anna, geb. Freiin Wankel von Seeberg (1752–1830) und vier Kinder: Therese (1775–1861), Franz (1777–1849), Josephine und Charlotte (1782–1843). Die Familie lebte in einem Schloss in Martonvásár bei Budapest.

Die Kinder genossen eine Ausbildung durch private Lehrer, studierten Sprachen und klassische Literatur. Alle vier erwiesen sich als talentierte Musiker: Franz wurde ein guter Cellist, die Mädchen zeichneten sich am Klavier aus – besonders Therese. Alle bewunderten die Musik von Ludwig van Beethoven, der sich während der 1790er-Jahre als Pianist in der österreichischen Hauptstadt Wien etabliert hatte. Franz widmete er später die f-Moll-Klaviersonate op. 57 (Appassionata), Therese die Fis-Dur-Sonate op. 78.

Am 3. Mai 1799 brachte Anna Brunsvik ihre beiden Töchter Therese und Josephine nach Wien, wo Beethoven ihnen Klavierunterricht erteilte.[4] Über die erste Bekanntschaft der beiden Schwestern mit Beethoven schrieb Therese Brunsvik Jahrzehnte danach als hochbetagte Frau in ihren Memoiren: „Der Unsterbliche, liebe Louis van Beethoven war sehr freundlich und so höflich, als er sein konnte ... Er kam fleißig, blieb aber statt einer Stunde von 12, bis oft 4 bis 5 Uhr ... Der Edle muß selber zufrieden gewesen sein, denn durch 16 Tage blieb er nicht ein einziges Mal aus.“[5] Wie mehrere andere Männer muss sich auch Beethoven auf den ersten Blick in Josephine Brunsvik verliebt haben. Ungefähr sechs Jahre nach dem ersten Zusammentreffen gestand er ihr, er habe damals seine spontane Liebe zu ihr unterdrücken müssen.[6] Sie selbst schrieb ihm – ebenfalls später, in ihrer Witwenzeit – von ihrer „enthousiastische[n] Seele“ für ihn, noch bevor sie ihn persönlich kennengelernt hatte.[7]

Auf Drängen der Mutter, die für ihre Tochter einen wohlhabenden Gatten von gleichem Rang wünschte, heiratete Josephine Brunsvik am 29. Juli 1799 in Martonvásár den erheblich älteren Grafen Joseph von Deym (* 4. April 1752 in Wognitz in Böhmen; † 27. Januar 1804 in Prag),[8] der sich bei ihrer ersten Begegnung in Wien am 5. Mai 1799 ebenfalls sofort in sie verliebt hatte. Der „Hofstatuarius“ Deym besaß in Wien am Rothen Turm ein großes Galeriegebäude, dessen zahlreiche Säle angefüllt waren mit Gips- und Wachsabgüssen berühmter antiker Statuen aus Italien, die Deym während seiner dortigen Aufenthalte selbst abgenommen hatte. Nach anfänglichen, überwiegend finanziellen Schwierigkeiten entwickelte sich die Deym-Ehe trotz des erheblichen Altersunterschiedes zu einer glücklichen Beziehung.[9]

Beethoven blieb als regelmäßiger „standhafter Besucher der jungen Gräfin“[10] weiterhin Josephines Klavierlehrer und gab ihr unentgeltlich Unterricht. Für Deym komponierte er Stücke für eine Spieluhr. Außerdem wirkte er mit bei einer Reihe von Hauskonzerten im Deymschen Palais,[11] bei denen viele seiner neuesten Kompositionen – wie die meisten Violinsonaten und vermutlich u. a. die Klaviersonaten op. 31/1 und 2 – aufgeführt wurden.[12]

In ihrer kurzen Ehe mit Deym gebar Josephine Deym von Stritetz vier Kinder:

  • Victoire (Vicky) (* 5. Mai 1800 in Wien; † 2. Februar 1823 in Wien)
  • Friedrich (Fritz) (* 3. Mai 1801 in Wien; † 23. Januar 1853 in Wien)
  • Carl (* 27. Juli 1802 in Nußdorf ob der Traisen; † 18. Mai 1840 in Nagysurány)
  • Josephine (Sephine) (* 24. Februar 1804 in Wien; † 25. Juni 1821 in St. Pölten).[13]

Während sie noch mit Sephine schwanger war, starb Graf Deym plötzlich am 27. Januar 1804 in Prag[14] an einer Lungenentzündung. Bevor er starb, übertrug er seiner Frau testamentarisch die Vormundschaft über die Kinder und das Vermögen. Kurze Zeit nach Deyms Tod empfing der Kaiser in Wien die junge Witwe mit ihren älteren Kindern und tröstete sie: „Weinen Sie nicht, Ihre Kinder sind meine Kinder!“[15]

Den Sommer 1804 verbrachte die verwitwete Josephine Deym von Stritetz zusammen mit ihrer Schwester Charlotte in einer Landwohnung in Hietzing beim Schönbrunner Schlosspark. Dort erkrankte sie schwer an einem Nervenfieber, wodurch sie in die Stadt zurückkehren musste.[16] Nachdem sich ihre Gesundheit im Winter wieder gefestigt hatte, kam Beethoven immer häufiger zum Unterricht zu ihr, gegen Ende November bereits alle zwei Tage,[17] und es entwickelte sich zwischen beiden eine immer engere Beziehung.

Zwischen 1804 und 1809[18] schrieb Beethoven Josephine eine Reihe leidenschaftlicher Liebesbriefe, von denen insgesamt vierzehn erhalten sind. 1957 wurden dreizehn von ihnen veröffentlicht; ein weiteres Fragment, das nur in einer Abschrift Josephines Deym von Stritetz erhalten ist, kam später hinzu. Alle diese Briefe weisen in Ton und Wortwahl deutliche Übereinstimmungen mit Beethovens berühmtem Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ vom Juli 1812 auf.[19] Dass diese Liebe nicht einseitig blieb, zeigen unter anderem Ausschnitte aus einem Brief Josephines, in dem sie ihm „den Besitz des edelsten ihres Ich’s“ zusicherte[20] und aus einem weiteren Brief von ihr, wahrscheinlich 1805: „Mein Herz haben Sie schon längst, lieber Beethoven, wenn Ihnen diese Versicherung Freude machen kann, so empfangen Sie sie – Aus dem reinsten Herzen“.[21] Beethoven schrieb ihr im selben Jahr: „Lange – lange – Dauer – möge unsrer Liebe werden – sie ist so edel – auf wechselseitige Achtung und Freundschaft gegründet ... o laßen sie mich hoffen, daß ihr Herz lange – und für mich schlagen werde – das meinige kann nur – aufhören zu schlagen – wenn es gar nicht mehr schlägt“.[22] In dieser Zeit schrieb Beethoven für sie das Lied An die Hoffnung op. 32[23] sowie ein lyrisches Menuett, das Andante favori WoO 57 für Klavier (ursprünglich der zweite Satz der Waldsteinsonate op. 53), dessen Anfangsmotiv nach Auffassung von Massin und Harry Goldschmidt den Namen „Jo-se-phi-ne“ skandiert.[24]

Die Liebe zwischen Beethoven und Josephine Deym von Stritetz, die beide geheim zu halten trachteten, wurde allerdings von Beginn an von der standesbewussten Familie Brunsvik äußerst misstrauisch beäugt.[25] Je länger die Verbindung andauerte, desto größer wurde der Druck auf Josephine Deym von Stritetz, die Beziehung zu Beethoven zu beenden.[26] Josephine selbst setzte dem stürmischen Drängen Beethovens Grenzen, da ihr bewusst war, dass es ihr nicht zuletzt aus juristischen Gründen unmöglich war, den nichtadligen Beethoven zu heiraten: Da nach damaligem Recht die Frau mit der Heirat ihrem Ehegatten in seinen Stand folgte, hätte sie ihren Adel aufgeben müssen und damit die Vormundschaft über ihre adligen Kinder verloren.[27] Dies teilte sie Beethoven indirekt auch mit; im Winter 1806/07 schrieb sie ihm fast verzweifelt: „Dieser Vorzug, den Sie mir gewährten, das Vergnügen Ihres Umgangs, hätte der schönste Schmuck meines Lebens seyn können liebten Sie mich minder sinnlich – daß ich diese Sinnliche Liebe, nicht befriedigen kann – zürnen Sie auf mich – Ich müßte heilige Bande verletzen, gäbe ich Ihrem Verlangen Gehör – Glauben Sie – daß ich, durch Erfüllung meiner Pflichten, am meisten leide – und daß gewiß, edle Beweggründe meine Handlungen leiteten.“[28]

Im Herbst 1807 gab Josephine Deym von Stritetz schließlich dem Druck ihrer adligen Familie nach[29] und zog sich von Beethoven zurück: Sie ließ sich nur noch verleugnen, wenn er sie besuchen wollte.[30] Auf diese Beethoven äußerst kränkende und traumatisierende Erfahrung könnte sich die Passage „… doch nie verberge dich vor mir“ in seinem späteren Brief an die „Unsterbliche Geliebte“ vom Juli 1812 beziehen.

Um einen geeigneten Lehrer für ihre beiden schulpflichtigen Söhne zu finden, begab sich Josephine Deym von Stritetz im Sommer 1808 zusammen mit ihrer Schwester Therese und den beiden Söhnen Fritz und Carl auf eine längere Reise, unter anderem nach Yverdon, wo sie den berühmten Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi traf. Dort lernte sie auch den estländischen Baron Christoph von Stackelberg (4. Dezember 1777, Reval – 7. November 1841, Reval) kennen, der sich anbot, die vier bei ihrer Rückkehr nach Ungarn über Genf, Südfrankreich, Oberitalien und Kroatien zu begleiten. Als die kleine Reisegruppe im Dezember 1808 in Genf angekommen war, wurde Josephine Deym von Stritetz plötzlich schwer krank. Aus späteren Tagebuchnotizen von Therese[31] und einem Brief von Stackelberg aus dem Jahre 1815[32] lässt sich schließen, dass sich Josephine Deym von Stritetz damals Stackelbergs Annäherungsversuchen ergab: Als die beiden Schwestern und Josephines Söhne im Sommer 1809 zusammen mit Stackelberg nach Ungarn zurückkehrten, war sie schwanger.[33] Baron Stackelberg – Ausländer von niederem adligen Rang und Protestant – wurde von den standesbewussten Brunsviks abgelehnt. Josephines Deym von Stritetz erstes Kind mit Stackelberg war

  • Maria Laura, * (?)Dezember 1809 in Waitzen (heute Vác), † 7. Januar 1843 in Hosszufalu, Siebenbürgen.

Das Kind kam unehelich zur Welt.[34] Nur mit Widerwillen gab Mutter Anna Brunsvik schließlich ihr schriftliches Einverständnis zur Heirat,[35] nicht zuletzt auch, weil Stackelberg bereits mehrfach gedroht hatte, anderenfalls die Erziehung der Kinder Deyms einzustellen. Josephine Deym von Stritetz’ Heirat mit Stackelberg fand am 13. Februar 1810 in Gran statt. Die Ehe war von Beginn an unglücklich. Das zweite Kind aus dieser Ehe,

  • Theophile, * 30. November 1810 in Wien,[8] † 6. September 1828 in Reval,

kam neun Monate nach der Hochzeit zur Welt. Danach wurde Josephine abermals krank. Für das Jahr 1811 ist belegt, dass sie Wert darauf legte, nicht mehr im selben Zimmer mit Stackelberg zu übernachten.[36] Zudem hatten beide starke Meinungsverschiedenheiten, was die Erziehung der Kinder anging.[37] Zum Zusammenbruch der Ehe und zum vollständigen finanziellen Ruin führte schließlich der Kauf einer großen Herrschaft am 22. Mai 1810 in Witschapp und Lessonitz in Mähren.[38] Das Ehepaar, das die Herrschaft am 1. Juli 1810 übernahm, war nicht in der Lage, die Kaufsumme von 2.000.000 Gulden vollständig zu finanzieren; nach Inflationsverlusten[39] und einem durch alle Instanzen gefochtenen, schließlich aber verlorenen Rechtsstreit gegen die Besitzerin der Ländereien sah sich Josephine um den Großteil ihres Vermögens gebracht.[40]

Nach zahlreichen nervenaufreibenden Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten[41] verließ Stackelberg wahrscheinlich im Juni 1812 Frau und Familie, obwohl sich Josephine in großen finanziellen Schwierigkeiten befand. Stackelberg wollte nach der Trennung angeblich Trost im Gebet finden.[42] Kürzlich entdeckte Tagebucheinträge Josephines, mutmaßlich vom Juni 1812,[43] zeigen, dass sie vorhatte, nach Prag zu reisen. Von diesem Zeitpunkt an gibt es in Josephines Aufzeichnungen und denen ihrer Schwester Therese signifikante Lücken.[44] Möglicherweise wurden einige Seiten später von fremder Hand entfernt. In Josephines Tagebuch jedenfalls sind „vier Blätter säuberlich mit einer Schere herausgeschnitten.“[45] Die überlieferten Aufzeichnungen setzen erst zwei Monate später wieder ein.

Unterdessen reiste Beethoven von Wien nach Prag, wo er am 3. Juli 1812 jene Frau traf, die er in seinem berühmten, am 6./7. Juli 1812 in Teplitz geschriebenen Brief seine „Unsterbliche Geliebte“ nennt.[46]

Es scheint so, dass es im Spätsommer 1812 Josephines Hauptanliegen war, die Vormundschaft über ihre vier Deym-Kinder zu behalten. Vermutlich in dieser Zeit gelang es ihr, einen neuen modus vivendi mit ihrem inzwischen offenbar wieder zurückgekehrten Ehemann auszuhandeln. Stackelberg setzte allerdings in diesem neuen Ehevertrag[47] durch, dass er Josephine jederzeit verlassen konnte, falls sie den Vertrag nicht einhalten sollte. Möglicherweise tat er dies auch später im Zusammenhang mit der Geburt von Josephines siebtem Kind,

  • Theresia Cornelia (genannt Minona), * 8. April 1813 in Wien, † 21. Februar 1897 in Wien,

das genau neun Monate, nachdem Beethoven in Prag seine „Unsterbliche Geliebte“ getroffen hatte, auf die Welt kam. Es ist daher immer wieder die These aufgestellt worden, dass nicht Stackelberg, sondern Beethoven Minonas leiblicher Vater war. (Interessanterweise lautet der Name Minona rückwärts gelesen ‚Anonim‘).[48]

Beethovens „Unsterbliche Geliebte“?

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Gewichtige Gründe sprechen dafür, dass nicht Josephine, sondern Antonie Brentano Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ war. Insbesondere fehlt ein konkreter Beleg dafür, dass Josephine Wien in der fraglichen Zeit verließ, um über Prag nach Karlsbad zu reisen, wo sich die Adressatin des Briefes zu dieser Zeit aufhielt:

  1. Josephine wird nicht in einem Verzeichnis der Wiener Polizei genannt, in der alle aus Wien Abreisenden im Zeitraum 28. Juni bis 4. Juli 1812 aufgeführt sind. Beethoven verließ Wien demnach am 29. Juni um 4 Uhr früh; Antonie Brentano reiste am 1. Juli 1812 um 2 Uhr früh ab.[49]
  2. Josephine erscheint 1812 nicht in den Fremdenlisten der Prager Oberpostamts-Zeitung, in der zahlreiche Prag-Besucher, insbesondere Adlige, erwähnt wurden. Genannt sind dort Beethoven, der am 1. Juli in Prag eintraf, und Antonie Brentano, die am 3. Juli ankam.
  3. Josephine erscheint 1812 weder in den Karlsbader Kurlisten noch in denen von Franzensbad, auch nicht in den polizeilichen Meldeprotokollen von Karlsbad. Dies trifft gleichfalls nur für Antonie Brentano zu, die am 5. Juli in Karlsbad eintraf.

Nach einer längeren Trennung, deren genauer Zeitraum noch nicht ermittelt wurde, erschien Stackelberg im Mai 1814 wieder,[50] um seine Kinder – einschließlich Minona – ins Baltikum zu bringen. Josephine widersetzte sich, worauf Stackelberg die Polizei auf den Plan rief und die drei Kleinkinder wegen angeblicher Verwahrlosung gewaltsam an sich riss.[51] Wie sich später herausstellte, nahm Stackelberg die Kinder jedoch nicht zu sich nach Livland, sondern gab sie bei einem Geistlichen in Böhmen in Obhut.[52]

Josephine, allein und immer mehr kränkelnd, stellte im September 1814 einen dubiosen Mathematiklehrer namens Karl Eduard von Andrehan-Werburg (genannt: Andrian) ein. Sie verfiel dessen charismatischem Einfluss, wurde schwanger und gebar im Herbst 1815 versteckt in einer Hütte ihr achtes Kind,

  • Emilie, * 16. September 1815 in Gießhübl(?)/Wienerwald, † 6. September 1817 in Wien.[53]

Ende April 1815 war Stackelberg, der durch den Tod eines Bruders eine Erbschaft gemacht hatte, erneut in Wien aufgetaucht, um Josephine auf seine livländischen Güter mitzunehmen. Aufgrund ihrer Schwangerschaft, die Stackelberg offenbar unbekannt blieb, und ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren Deym-Kindern wollte sie ihm jedoch nicht folgen, zumal ihre Ehe weitgehend zerstört war. Stackelberg schrieb Josephine einen langen Brief, in dem er aus seiner Perspektive ein sehr ambivalentes Bild von ihrem Charakter zeichnete.[54]

Kurz nachdem Josephine ihr letztes Kind, Emilie, zur Welt gebracht hatte, kündigte sie deren Vater Andrian die Stelle als Hauslehrer. Andrian nahm daraufhin seine Tochter mit und zog sie alleine auf. Zwei Jahre später, am 6. September 1817, starb Emilie an Masern.[55] Die Kette dramatischer Ereignisse riss nicht ab: Am 29. Dezember 1815 schrieb ein Dechant Franz Leyer aus Trautenau (Trutnov) Josephine, er habe ihre drei kleinen Töchter in seinem Gewahrsam, Stackelberg habe jedoch seit langem kein Geld mehr geschickt.[56] Josephine und Therese – glücklich, nach fast zwei Jahren wieder etwas von den Kindern zu hören – legten so viel Geld zusammen, wie sie gerade auftreiben konnten, und schickten es an Leyer, der kurz darauf vorschlug, die Kinder wieder in die Obhut ihrer Mutter zurückzugeben. Just in dem Moment, als Josephine hoffen konnte, ihre Kinder endlich wiederzusehen, tauchte Ende September 1816 Christoph von Stackelbergs Bruder Otto in Trautenau auf, um die Kinder endgültig nach Estland zu bringen.[57]

Marie-Elisabeth Tellenbach glaubt Indizien dafür gefunden zu haben, dass Beethoven und Josephine auch nach 1812 noch sporadisch direkt oder indirekt miteinander Kontakt hatten.[58] Belegt ist mittlerweile, dass sowohl Josephine als auch Beethoven sich im Sommer 1816 in Baden aufhielten, wo sie sich getroffen haben könnten.[59] Es scheint, dass sie auch planten, im Herbst 1816 einige Wochen gemeinsam im norddeutschen Kurort Bad Pyrmont zu verbringen.[60] Josephine war am 3. August vom Österreichischen Staatsrat ein Reisepass „in das Bad zu Pirmont“ bewilligt worden[60] und Beethoven notierte, ebenfalls im August 1816, in sein Tagebuch: „nicht nach P – t, sondern mit P. – abreden, wie es am besten zu machen sey.“[61] „P.“ könnte die Abkürzung für „Pepi“, den Kosenamen Josephines, gewesen sein.[62]

Ende 1819 kam Christoph von Stackelberg nochmals nach Wien und brachte nun endlich auch die entführten Kinder mit, damit Josephine sie noch einmal sehen konnte. Über die nun sechs Jahre alte Minona schrieb Therese später in ihren Memoiren: „Merkwürdig hatte sich das Kind entwickelt. Ohne schön zu sein, war sie stark und imponierte dermaßen ihren älteren Schwestern, daß wir sie immer die Gouvernante nannten. Es zeigte sich auch später, daß sie das meiste Genie unter den Schwestern hatte.“[63] Josephine ließ die Kinder ruhig ziehen. Sie wusste, dass sie der Last, auch diese Kinder zu erziehen, nicht mehr gewachsen war.

Josephines Leben endete in zunehmenden Leiden,[64] zeitweiligen finanziellen Engpässen[65] und Einsamkeit. Zum Entsetzen der bettlägerigen Mutter gingen die beiden Söhne Fritz und Carl aus der Ehe mit Deym zum Militär,[66] die zweite Deym-Tochter Sephine war zu den Englischen Fräulein nach St. Pölten gegangen,[67] die drei Töchter aus der Ehe mit Stackelberg befanden sich in dessen Heimat, Schwester Therese verließ Josephine,[68] Bruder Franz weigerte sich, weiteres Geld zu schicken, und Mutter Anna beschuldigte sie, an ihrem Unglück selbst schuld zu sein.[69]

Am 31. März 1821 starb Josephine Gräfin von Brunsvik; sie wurde auf dem Währinger Ortsfriedhof bei Wien in einem eigenen Grab beigesetzt.[70] Dass ihr von der Familie ein Gedenkstein verweigert wurde, ist eine Erfindung Tellenbachs[71], die von mehreren Autoren unkritisch übernommen wurde. Im selben Jahr komponierte Beethoven[72] seine letzten beiden Klaviersonaten op. 110 (ungewidmet) und op. 111 (in Österreich Erzherzog Rudolf, in England Antonie Brentano gewidmet). Beide Sonaten werden – unter anderem aufgrund der Bezüge zum Andante favori – von den Musikwissenschaftlern Marie-Elisabeth Tellenbach und Harry Goldschmidt als Requiemsonaten für Josephine interpretiert, wobei Tellenbach den Schwerpunkt auf op. 110, Goldschmidt dagegen auf op. 111 legt.[73] Genau sechs Jahre später wählten Breuning und Schindler ebenfalls auf dem Währinger Friedhof, „wo er stets gern weilte“, eine Grabstätte für Beethoven.[74] Am 16. Oktober 1909 wurden die sterblichen Überreste Josephine Brunsviks (und ihrer beiden Kinder Victoire und Friedrich Deym von Střítež) exhumiert und in eine heute unbekannte Gruft auf dem Familiengut der Brunsviks in Nemyšl transferiert.[75]

Jahrzehnte nach Josephines Tod notierte deren Schwester Therese als Siebzigerin in ihrem Tagebuch: „Beethoven! ist es doch wie ein Traum, dass er der Freund, der Vertraute unseres Hauses war – ein herrlicher Geist! warum nahm ihn meine Schwester Josephine nicht zu ihrem Gemahl als Witwe Deym? Sie wäre glücklicher geworden als mit St[ackelberg]. Mutterliebe bestimmte sie – auf eigenes Glück zu verzichten“; und sie erinnerte sich: „ich glückliche hatte Beethovens intimen, geistigen Umgang so viele Jahre! Josephines Haus- und Herzensfreund! Sie waren für einander geboren und lebten beide noch, hätten sie sich vereint.“[76]

Spuren in der Musik?

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Offiziell hat Beethoven Josephine Brunsvik/Deym von Stritetz nur ein einziges Werk gewidmet, das sie sich auch noch mit ihrer Schwester Therese Brunsvik zu teilen hat: die Sechs Variationen über „Ich denke Dein“ WoO 74 für Klavier. Würde man daher die „offiziellen“ Werkwidmungen Beethovens zum einzigen Maßstab seiner Wertschätzung erheben, sähe sich Josephine Brunsvik/Deym von Stritetz nachlässiger behandelt als die meisten peripheren Frauengestalten in Beethovens Leben. Es war nicht zuletzt das fast völlige Fehlen offizieller Widmungen, das – neben einer Reihe von Vertuschungen und Dokumentenvernichtungen durch die Familie Brunsvik – erheblich dazu beitrug, dass Josephine Brunsvik/Deym von Stritetz die längste Zeit in der Beethovenbiographik nahezu inexistent war.

Dies änderte sich erst, als Anfang der 1970er Jahre die grundlegende musikologische Studie des französischen Ehepaars Brigitte und Jean Massin erschien:[77] Vor allem in dem für Josephine geschriebenen „lyrischen Menuett“, dem Andante favori WoO 57, dessen biographischer Stellenwert erst durch die Veröffentlichung der vierzehn Liebesbriefe an Josephine in den fünfziger Jahren manifest geworden war („– hier ihr – ihrAndante – “), glauben sie eine semantische Chiffre für „Jo-se-phi-ne“ gefunden zu haben. Dieser Ansatz, der auch die Musik als biographisches Dokument erschließen will, wurde in der Folgezeit von Harry Goldschmidt und Marie-Elisabeth Tellenbach weiter ausgebaut. Metamorphosen des „lyrischen Menuetts“ – und damit Bezüge zu Josephine – glauben sie im Gesamtwerk Beethovens über Jahrzehnte hindurch bis ins Spätwerk nachweisen zu können.

Im Einzelnen sehen sie im Bereich der Instrumentalmusik Spuren des „lyrischen Menuetts“ u. a. in folgenden Werken:[78]

  • aus Josephine Deym von Stritetz’ Witwenzeit: Klaviersonate Nr. 22 F-Dur (I. Satz), op. 54; Violinkonzert D-Dur, op. 61 (II. Satz); Klaviersonate Nr. 23 f-Moll („Appassionata“), op. 57 (I. Satz)
  • aus der Zeit zwischen 1807 und 1812: „Quartetto serioso“ f-Moll, op. 95 (III. und IV. Satz)
  • aus der Zeit nach 1812: Violinsonate G-Dur, op. 96 (I. Satz); Klaviersonate Nr. 29 B-Dur („Hammerklaviersonate“), op. 106 (II. Satz); Klaviersonate Nr. 31 As-Dur, op. 110 (I. Satz); Klaviersonate Nr. 32 c-Moll, op. 111 (II. Satz: „Arietta“); „Diabellivariationen“ C-Dur, op 120 (33. Variation: „Tempo di Menuetto“) und schließlich in den „Bagatellen“ op. 126 (Nr. 3 und Nr. 6, beide Es-Dur)

Im Bereich der Vokalmusik sehen sie biographische Bezüge zu Josephine Brunsvik/Deym von Stritetz u. a. in folgenden Werken:

  • in der Oper Leonore, op. 72 (dem späteren Fidelio); dem Liederzyklus An die ferne Geliebte, op. 98 und u. a. den Liedern An die Hoffnung op. 32/ op. 94; Als die Geliebte sich trennen wollte, WoO 132; Resignation, WoO 149 sowie Abendlied unterm gestirnten Himmel, WoO 150.

So durchgehend scheinen die Bezüge zu sein, dass Brigitte Massin zusammenfassend von der „Permanenz Josephines in Beethovens Werk“ spricht.[79]

  • La Mara: Beethovens Unsterbliche Geliebte. Das Geheimnis der Gräfin Brunsvik und ihre Memoiren. Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1909.
  • La Mara: Beethoven und die Brunsviks. Nach Familienpapieren aus Therese Brunsviks Nachlaß. Leipzig: Siegel, 1920
  • Walter Riezler: Beethoven. Zürich: Atlantis, 1936 – 8. Auflage 1962
  • Marianne Czeke: Brunszvik Teréz grófno naplói és feljegyzései [Gräfin Therese Brunsviks Tagebuch und Notizen]. Band 1, Budapest 1938.
  • Siegmund Kaznelson: Beethovens ferne und Unsterbliche Geliebte. Zürich: Standard, 1954.
  • Joseph Schmidt-Görg (Hrsg.): Beethoven: Dreizehn unbekannte Briefe an Josephine Gräfin Deym geb. v. Brunsvik. Bonn: Beethoven-Haus, 1957.
  • Joseph Schmidt-Görg: Neue Schriftstücke zu Beethoven und Josephine Gräfin Deym. In: Beethoven-Jahrbuch 1965/68. Bonn: 1969, S. 205–208.
  • Jean und Brigitte Massin: Recherche de Beethoven. Paris: Fayard, 1970.
  • Harry Goldschmidt: Um die Unsterbliche Geliebte. Eine Bestandsaufnahme. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik, 1977
  • Harry Goldschmidt: Aspekte gegenwärtiger Beethoven-Forschung. Biographie. In: ders. (Hrsg.): Zu Beethoven. Aufsätze und Annotationen. Leipzig (1979), S. 167–242
  • Marie-Elisabeth Tellenbach: Beethoven und seine „Unsterbliche Geliebte“ Josephine Brunswick. Ihr Schicksal und der Einfluß auf Beethovens Werk. Zürich: Atlantis, 1983
  • Rita Steblin: A History of Key Characteristics in the 18th and Early 19th Centuries. University of Rochester Press, 1983.
  • Virginia Beahrs: The Immortal Beloved Revisited. In: The Beethoven Newsletter 1/2 (Summer), 1986, S. 22–24.
  • Marie-Elisabeth Tellenbach: Beethoven and the Countess Josephine Brunswick. In: The Beethoven Newsletter 2/3, 1987, S. 41–51
  • Virginia Oakley Beahrs: The Immortal Beloved Riddle Reconsidered. In: The Musical Times, Vol. 129 (1988), S. 64–70.
  • Marie-Elisabeth Tellenbach: Künstler und Ständegesellschaft um 1800: die Rolle der Vormundschaftsgesetze in Beethovens Beziehung zu Josephine Gräfin Deym. In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Band 2 (1988), S. 253–263.
  • Maynard Solomon: Recherche de Josephine Deym. In: ders.: Beethoven Essays. Cambridge: Harvard University Press, 1988, S. 157–165 u. 333–335.
  • Carl Dahlhaus: Ludwig van Beethoven: Approaches to his Music. Oxford: Oxford University Press, 1991.
  • Virginia Beahrs, Beethoven's Only beloved? New Perspectives on the Love Story of the Great Composer. In: Music Review, Band 54 (1993), S. 183–197
  • Ernst Pichler, Beethoven. Mythos und Wirklichkeit, Wien: Amalthea, 1994
  • Ludwig van Beethoven, Briefwechsel. Gesamtausgabe, hrsg. von Sieghard Brandenburg, 7 Bände, München: Henle, 1996–1998
  • Rita Steblin: Josephine Gräfin Brunswick-Deyms Geheimnis enthüllt: Neue Ergebnisse zu ihrer Beziehung zu Beethoven. In: Österreichische Musikzeitschrift, Jg. 57 (2002), Nr. 6 (Juni), S. 23–31.
  • Maynard Solomon (Hrsg.): Beethovens Tagebuch 1812–1818. Bonn: Beethoven-Haus, 2005.
  • Rita Steblin: „Auf diese Art mit A geht alles zugrunde“. A New Look at Beethoven's Diary Entry and the „Immortal Beloved“. In: Bonner Beethoven-Studien, Band 6 (2007), S. 147–180
  • Dagmar Skwara und Rita Steblin: Ein Brief Christoph Freiherr von Stackelbergs an Josephine Brunsvik-Deym-Stackelberg. In: Bonner Beethoven-Studien, Band 6 (2007), S. 181–187
  • Rita Steblin: Beethovens „Unsterbliche Geliebte“: des Rätsels Lösung. In: Österreichische Musikzeitschrift, Jg. 64 (2009), Nr. 2, S. 4–17. [1]
  • Rita Steblin: „A dear, enchanting girl who loves me and whom I love“: New Facts about Beethoven’s Beloved Piano Pupil Julie Guicciardi. In: Bonner Beethoven-Studien, Band 8 (2009b), S. 89–152.
  • Klaus Martin Kopitz, Rainer Cadenbach (Hrsg.) u. a.: Beethoven aus der Sicht seiner Zeitgenossen in Tagebüchern, Briefen, Gedichten und Erinnerungen. Band 1: Adamberger – Kuffner. Hrsg. von der Beethoven-Forschungsstelle an der Universität der Künste Berlin. Henle, München 2009, ISBN 978-3-87328-120-2.
  • Klaus Martin Kopitz: Die frühen Wiener Aufführungen von Beethovens Kammermusik in zeitgenössischen Dokumenten (1797–1828). In: Beethovens Kammermusik. Hrsg. von Friedrich Geiger und Martina Sichardt (= Das Beethoven-Handbuch, hrsg. von Albrecht Riethmüller, Band 3). Laaber 2014, S. 165–211.
  • John E. Klapproth: Beethovens Einzige Geliebte: Josephine!, Charleston, USA 2015. ISBN 978-1-4700-9807-0
  • Michael Lorenz: The Exhumation of Josephine Countess von Deym, Wien 2017.
  • Christine Eichel: Der empfindsame Titan. Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke. Blessing Verlag München 2019, ISBN 978-3-89667-624-5
  • Klaus Martin Kopitz: Der Brief an die Unsterbliche Geliebte. Fakten und Fiktionen, in: Die Beethoven-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin. „Diesen Kuß der ganzen Welt!“, hrsg. von Friederike Heinze, Martina Rebmann und Nancy Tanneberger, Petersberg: Michael Imhof 2020, S. 156–163 (PDF)

Einzelnachweise

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  1. Die Brunsviks führten ihre Abstammung auf den Kreuzfahrer Heinrich von Braunschweig („Heinrich der Löwe“, 1139–1195) zurück.
  2. Harry Goldschmidt (1977) S. 231.
  3. La Mara (1920), Kaznelson (1954), Riezler (1962), Massin (1970), Goldschmidt (1977), Tellenbach (1983, 1987), Beahrs (1986, 1988, 1993), Dahlhaus (1991), Pichler (1994), Steblin (2002, 2007, 2009). Der Brief selbst findet sich in seiner Originalschreibweise hier: beethoven-haus-bonn.de (Memento des Originals vom 23. Februar 2015 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.beethoven-haus-bonn.de.
  4. Siehe Thereses Brunsviks Memoiren, in: La Mara (1909), S. 58–135; Kopitz/Cadenbach (2009), Nr. 161.
  5. cit. nach La Mara (1909), S. 64f. – Beethoven widmete später den Schwestern Therese und Josephine Brunsvik das Lied Ich denke Dein mit sechs Variationen für Piano-Duo, WoO 74.
  6. „… o geliebte J., … als ich zu ihnen kam – war ich in der festen Entschlossenheit, auch nicht einen Funken Liebe in mir keimen zu laßen …“ (Beethoven an Josephine Deym von Stritetz, März/April 1805, in: Ludwig van Beethoven: Briefwechsel. Gesamtausgabe. Hrsg. von Sieghard Brandenburg. Band 1. München 1996, Nr. 216.)
  7. „Meine ohnedieß, für Sie enthousiastische Seele noch ehe ich Sie persönlich kannte – erhielt durch Ihre Zuneigung Nahrung. Ein Gefühl das tief in meiner Seele liegt und keines Ausdrucks fähig ist, machte mich Sie lieben; noch ehe ich Sie kan[n]te machte ihre Musick mich für Sie enthousiastisch – Die Güte ihres Characters, ihre Zuneigung vermehrte es.“ (Josephine Deym von Stritetz an Beethoven, Winter 1806/1807, in: Brandenburg 1996, Nr. 265.)
  8. a b Steblin (2007), S. 157.
  9. Einzelheiten in Steblin (2007), S. 155f siehe auch Goldschmidt (1977), S. 370. Steblin fand, einem Hinweis Goldschmidts folgend, 108 Ehebriefe der beiden und kündigte eine Veröffentlichung derselben an. (Steblin 2007, S. 155, Anm. 41)
  10. Therese Brunsvik in ihren Memoiren, cit. nach La Mara (1909), S. 68f.
  11. Unter anderen führte er dort so bekannte Solisten wie den Hornisten Punto und den hochberühmten Geiger Bridgetower ein, der 1803 in Wien konzertierte und für den er die Violinsonate A-Dur, op. 47 („Kreutzersonate“) geschrieben hatte. (vgl. Tellenbach 1983, S. 62 sowie Goldschmidt 1977, S. 190f)
  12. Vgl. Tellenbach (1983), S. 59–62. – Über ein glänzendes Hauskonzert zu Ehren der Herzogin Franzele von Württemberg (vgl. Steblin 2009b) erzählte Josephine Deym von Stritetz am 10. Dezember 1800: „Gestern hatten wir zu Ehren der Herzogin Musik. Da mußte ich spielen, dazu lagen alle Arrangements auf mir ... Beethoven spielte die Sonate mit Violoncello, ich die letzte der drei Violinsonaten [op. 12/3] mit Schuppanzighs Begleitung, der wie alle anderen göttlich spielte. Dann ließ uns Beethoven, als ein wahrer Engel, seine neuen, noch nicht gestochenen Quartette [aus op. 18] hören, die das höchste ihrer Art sind.“ (cit. nach La Mara 1920, S. 14, die irrtümlich als Ehrengast die Gräfin von Giovane angegeben hatte.) Ebenso begeistert wie über die Quartette äußerte sich Josephine Deym von Stritetz am 12. November 1802: „Ich habe Sonaten von Beethoven [wahrscheinlich die die Klaviersonaten op. 31/1 und 2], welche alle vorhergehenden vernichten.“ (ebenda, S. 40)
  13. Friedrich Freiherr von Haan: "Auszüge aus den Sperr-Relationen des n.-ö. und k. k. n.-ö. Landrechts 1762–1852", in: Jahrbuch der Gesellschaft Adler 1907, S. 79.
  14. Im November 1803 war das Ehepaar Deym nach Prag gereist, wo sie Verwandte hatten, um dort den Winter zu verbringen. (vgl. Tellenbach 1983, S. 63) Zur gleichen Zeit beabsichtigte Beethoven ebenfalls, für eine gewisse Zeit nach Prag zu kommen. Nach der Rückkehr Josephines Deym von Stritetz’ aus Prag, kurz nach dem plötzlichen Tode ihres Mannes, war von Beethovens Reiseprojekt nicht mehr die Rede. (vgl. Goldschmidt 1977, S. 191f)
  15. La Mara (1909), S. 71.
  16. Vgl. Tellenbach (1983), S. 64 f.
  17. Beethoven est fort aimable: il vient presque tous les seconds jours et dône des leçons à Pepi. [„Beethoven ist außerordentlich liebenswürdig, er kommt nahezu alle zwei Tage und gibt Pepi Unterricht.“] (Charlotte Brunsvik an ihre Schwester Therese, 20. November 1804; cit. nach Schmidt-Görg 1957, S. 10)
  18. Rita Steblin datiert Beethovens letzten erhaltenen Brief aus dieser Korrespondenz eher auf 1810/1811.
  19. Vgl. Massin (1970), Goldschmidt (1977), S. 144–156 sowie Tellenbach (1983), S. 103 f.
  20. cit. nach Tellenbach (1983), S. 66. Zur Interpretation dieser Formulierung vgl. ebenda, S. 104 f. – Von Josephine Deym von Stritetz’ Briefen sind nur einige Entwürfe erhalten geblieben.
  21. cit. nach Tellenbach (1983), S. 67.
  22. cit. nach Schmidt-Görg (1957), S. 14.
  23. Sie schrieb am 24. März 1805 an ihre Mutter: „Der gute Beethoven hat mir ein hübsches Lied, das er auf einen Text aus der Urania ‚an die Hoffnung‘ für mich geschrieben, zum Geschenk gemacht.“ cit. nach Schmidt-Görg (1957), S. 12, der auch der Ansicht ist, dass das Manuskript vermutlich eine Widmung an Josephine Deym von Stritetz trug. (ebenda)
  24. Beethoven 1805 an Josephine: „– hier ihr – ihrAndante – “ (Brandenburg 1996, Nr. 220) – Die rhythmische Skandierung des Namens „Jo-se-phi-ne“ ist identisch mit „Le-o-no-re“, der Heldin der gleichnamigen Oper (dem späteren Fidelio) op. 72, an der Beethoven in dieser Zeit schrieb. In dieser Oper befreit eine Frau ihren unschuldig inhaftierten Ehemann aus dem Kerker. – In der Zeit der Liebesbeziehung zu Josephine Brunsvik/Deym von Stritetz nahm Beethovens Schaffen einen starken Aufschwung: Neben der erwähnten Oper Leonore op. 72 entstanden so gewichtige Werke wie die Waldsteinsonate op. 53, die F-Dur-Sonate op. 54 und die Appassionata op. 57, die IV. Sinfonie op. 60, das G-Dur-Klavierkonzert op. 58, die Rasumowsky-Quartette op. 59 und das Violinkonzert op. 61. Die Musikwissenschaftler Harry Goldschmidt (1977) und Marie-Elisabeth Tellenbach (1983) glauben in den meisten dieser Werke musikalische Bezüge zum Andante favori und damit zu Josephine Deym von Stritetz nachweisen zu können.
  25. „Beethoven vient très souvent, il dône des leçons à Pepi – c’est un peu dangereux, je t’avoue“ [„Beethoven ist sehr oft hier, er gibt Pepi Unterricht – das ist ein bisschen gefährlich, muß ich gestehen“]. (So bereits am 19. Dezember 1804 Charlotte im „Donau-Französisch“ der Brunsvik-Schwestern an Therese, in: La Mara 1920, S. 51 sowie Kopitz/Cadenbach 2009, Nr. 103.)
  26. „Beethoven und Pepi, was soll daraus werden? Sie soll auf ihrer Hut sein! … Ihr Herz muss die Kraft haben nein zu sagen, eine traurige Pflicht, wenn nicht die traurigste aller!“ (Therese an Charlotte, 20. Januar 1805, in: La Mara 1920, S. 54; Kopitz/Cadenbach 2009, Nr. 141) – Charlotte selbst gab Josephine in ihren Briefen aus Siebenbürgen mehrfach den dringenden Rat, nicht mit Beethoven alleine zu sein: „Ne sois jamais seule avec lui – – –“. (vermutlich im Spätsommer/Herbst 1805; cit. nach Goldschmidt 1977, S. 246) Und am 20. Oktober 1805 schrieb sie ihr: „la seul chose pour la quelle je te conjure, c’est d’être sur les gardes avec B: fait toi la loi de ne jamais le voir seul; meilleur il servit encore de ne jamais le voir dans ta maison; que Dieu te donc [sic!] la force d’exécuter ce que je te conseille! qu’il te rédone a ta Famille, a tes enfants: qu’il te rédone a ton cœur la paix, et le bonheur.“ [„Die einzige Angelegenheit, um die ich Dich dringend bitte, ist vor B[eethoven] auf der Hut zu sein: mach es Dir zur Regel, ihn niemals allein zu sehen; besser noch schickt es sich, ihn niemals in Deinem Hause zu sehen; möge Gott Dir die Kraft geben, das auszuführen, was ich Dir rate! möge er Dich Deiner Familie und Deinen Kindern zurückgeben: möge er Deinem Herzen Frieden und Glück zurückgeben.“] (cit. nach Steblin 2007, S. 149)
  27. Tellenbach (1988), S. 259 f.
  28. Josephine zu Beethoven, Winter 1806/07, in: Brandenburg (1996), Nr. 265; siehe dazu auch Tellenbach (1988), S. 260. – Dies wurde später vom damaligen Leiter des Bonner Beethovenhauses als „Abkühlung“ ihrer Liebe missinterpretiert: Schmidt-Görg (1957), S. 31.
  29. Tellenbach (1999), S. 455.
  30. Beethoven schrieb ihr verbittert: „Liebe J. da ich bejnahe fürchten muß, daß sie sich von mir gar nicht mehr finden laßen – und ich mich den Abweisungen ihres Bediensteten nicht mehr unterziehen mag – so kann ich wohl nicht anders mehr zu ihnen kommen.“ (cit. nach Schmidt-Görg 1957, S. 28) – Dass damit jedoch der Kontakt zwischen den beiden nicht völlig abgebrochen war, zeigt ein Briefwechsel zwischen Josephine Deym von Stritetz und Beethoven, den Tellenbach (1983, S. 95 f) auf die zweite Hälfte 1809 datiert. Sie schrieb an Beethoven: „Nun sagen Sie mir wie es Ihnen geht, was Sie machen? Wie Ihre Gesundheit, Ihr Gemüth, ihre Lebensart ist – der innige Antheil den ich an allem, was Sie betrifft, nehme und so lang ich lebe nehmen werde macht es mir zum Bedürfnisse Nachricht darüber zu haben. Oder glaubt mein Freund Beethoven, darf ich Sie wohl so nennen, ich habe mich geändert – Was würde dieser Zweifel anders sagen als Sie selbst, wären nicht immer derselbe.“ Und Beethoven in seinem Antwortschreiben: „Ich danke ihnen, daß sie noch scheinen wollen, als wäre ich nicht ganz aus ihrem Andenken verbannt, selbst, wenn es vielleicht mehr auf Veranlassung andrer geschah – sie wollen, ich soll ihnen sagen, wie es mir geht, eine Schwerere Frage kann man mir nicht aufwerfen – und ich will sie lieber unbeantwortet laßen, als – sie zu wahr beantworten – leben sie wohl liebe J. / wie immer / ihr ihnen / ewig ergebner / Beethowen.“ (beide Briefe cit. nach Tellenbach 1983, S. 95; Beethovens letzter Brief könnte nach Ansicht von Steblin auch erst aus den Jahren 1810/11 stammen.)
  31. „Sie stellte mir vor wie ich in Genf hätte handeln sollen als sie mich um Hülfe ansprach – damals hätt’ ich sie retten können.“ (cit. nach Tellenbach 1983, S. 91)
  32. Skwara/Steblin (2007), S. 183; Tellenbach (1983), S. 90.
  33. Steblin datiert diese „Love affair“ auf Januar 1809 (Genf) und April 1809 (Pisa). (Steblin 2007, S. 157)
  34. Dies wies erstmals Steblin (2002) nach. Bis dahin war das Geburtsdatum Maria-Lauras auf 1811 angesetzt worden, wodurch auch ihre nichteheliche Geburt im Dunkeln geblieben war (vgl. auch Steblin 2007, S. 157).
  35. Reproduziert in Goldschmidt (1977), S. 404.
  36. Anweisungen Josephines zum Arrangement ihres Schlafzimmers in Witschapp in Briefen an ihre Schwester Therese vom 4. und 17. März 1811. Josephine bestand nicht nur auf separaten Schlafzimmern, sie wünschte zudem, dass ein Dienstmädchen im dazwischenliegenden Zimmer übernachtete. (vgl. Steblin 2007, S. 171)
  37. Tellenbach (1983, S. 93f) gibt eine lebendige Schilderung des in praktischen Erziehungsfragen hilflosen und sich daher umso autoritärer gerierenden Schöngeists Stackelberg.
  38. Dazu Therese Brunsvik in ihren Memoiren: „Auf der großen Herrschaft in Mähren waren reiche Beamtete: Ein Justizamt, ein Wirtschafts-, Kastner-, Rent- und Forstamt. Der Flächenraum war groß und mit Wäldern bedeckt, sehr geregelt: 11 Dörfer und ein Markt, 14 Meierhöfe mit gewölbten Stallungen, 200 ausländische Kühe, 20.000 feine Merinos u.s.w. machten den fundus instructus – eine Goldgrube für den Verständigen und Glücklichen. Die kränkliche schöne Frau erhielt einen Schlaf-Reisewagen, welcher 10.000 Fl. kostete, vier muntere polnische Grauschimmel, jung, mit hübschem Geschirr vorgespannt, und die Carawane zog nach Mähren, zwischen Znaim (Znojmo) und Iglau (Jihlava), die schöne Ausdehnung am Städtchen Trebitsch (Třebíč).“ (La Mara 1909, S. 98) Detaillierte Informationen über den Alltag in Witschapp zwischen August 1810 und (vermutlich) Ende Dezember 1811 finden sich in Thereses Tagebüchern. (vgl. Czeke 1938)
  39. Der habsburgische Gulden war infolge eines Staatsbankrotts durch die verlustreichen napoleonischen Kriege im März 1811 auf ein Fünftel abgewertet worden. (Finanzpatent vom 15. März 1811. Vgl. auch die enormen finanziellen Verluste Stackelbergs von mehr als 300.000 Gulden Bank Zettel im Zusammenhang mit einem Darlehen, das er am 22. April 1811 in Prag aufgenommen hatte; Steblin 2007, S. 170)
  40. Eine gute (wenn auch noch unvollständige) Zusammenfassung der hochkomplizierten juristischen Angelegenheiten liefert Pichler (1994), S. 277–280.
  41. Goldschmidt dokumentiert eine Tagebuchnotiz von Josephines damals noch vor der Vollendung des zwölften Lebensjahres stehenden ältesten Tochter Vicky vom 3. April 1812, die eine dramatische morgendliche Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten beschreibt, deren unfreiwillige Ohrenzeugin sie geworden war. Unter anderem schreibt Vicky: „An ihrer Sanftheit erkannte ich bald die Stimme vom Mama und an seinem zornigen Ton die von Papa ... welcher in Mama nur das Martyrium seines Lebens sieht. In dieser schrecklichen Täuschung sagte er ihr tausend Beleidigungen, ohne an die düsteren Folgen zu denken ... Ich dachte an die schrecklichen Folgen der Übereilung, die das Unglück meiner Mutter verursachte, welche aus Liebe zu uns heiratete und durch diesen wichtigen Schritt für immer ihr Unglück herbeiführte. Sie hat es für uns getan, um uns, wenn sie sterben sollte, eine Stütze zu hinterlassen, ... einen Vater ...“ (Goldschmidt 1977, S. 168 im französischen Original und S. 405 in deutscher Übersetzung.)
  42. Steblin (2007, S. 163f) präsentiert neue Dokumente, die eindeutig zeigen, dass Stackelberg in der ersten Hälfte des Juli 1812 von zu Hause abwesend gewesen sein muss. Möglicherweise hielt er sich in Wien auf, allerdings definitiv nicht bei seiner Familie.
  43. „Ich habe heute einen schweren Tag. (...) St[ackelberg] will daß ich mir selbst sitzen soll. er ist gefühllos für bittende in der Noth. (...) Ich will Liebert in Prague [!] sprechen. ich will die Kinder nie von mir lassen.“ (Josephines Tagebuch, Juni 1812, in: Steblin 2007, S. 159–162.)
  44. Bei Therese zwischen dem 9. Juni und dem 6. August. (vgl. Goldschmidt 1977, S. 169)
  45. Tellenbach (1983), S. 109.
  46. Die Anwesenheit Josephines zum fraglichen Zeitpunkt in Prag konnte bislang nicht bewiesen, aber auch nicht falsifiziert werden. Nach wie vor gilt Harry Goldschmidts klassische Sentenz: „Juristisch gesprochen, steht ihr Alibi nicht.“ (Goldschmidt 1977, S. 181) Belegt ist allerdings seit den aufsehenerregenden neuen Funden von Rita Steblin (2007, S. 159–162; s. o.), dass Josephine wenige Wochen zuvor eine solche Reise beabsichtigte. Auch wenn „Liebert in Prague“ bislang noch nicht identifiziert werden konnte, spricht vieles dafür, dass Josephine in Prag die Unterstützung einflussreicher Persönlichkeiten suchte. Dabei könnte es sich entweder um juristischen Beistand im Hinblick auf eine mögliche künftige Scheidung von Stackelberg (die unmittelbare Verknüpfung zwischen „Liebert in Prague“ mit dem Schicksal der Kinder in der o. g. Tagebuchaufzeichnung könnte dafür sprechen) oder um Hilfe für die Rückerstattung der in ihrem Rechtsstreit um die Ländereien in Mähren verlorenen exorbitanten Geldsummen gehandelt haben. Tellenbach und Steblin halten es für denkbar, dass Josephine eine Audienz beim Kaiser anstrebte, der sich auf der Rückkehr vom Dresdner Fürstentag Ende Juni in Prag aufhielt. (Schließlich hatte dieser ihr nach dem Tode Deyms seine Unterstützung zugesichert. – Was Josephine allerdings nicht wissen konnte: Der Kaiser verließ zusammen mit seiner Entourage bereits am 1. Juli frühmorgens Prag, um nach Schönhof weiterzureisen; vgl. Steblin 2007, S. 170, Anm. 76. Zu der erhofften Audienz beim Kaiser ist es also sehr wahrscheinlich nicht gekommen.) Zusammenfassend kommt Tellenbach zu dem Schluss: „Eines steht jedenfalls fest: es gab genug Gründe für Josephine, in ihrer Not nach Prag zu fahren, die nichts mit Beethoven zu tun hatten.“ (Tellenbach 1983, S. 110f) – Josephine hätte die Möglichkeit gehabt, incognito nach Prag zu reisen und dort, wie immer, im Hause ihrer Schwägerin, der Gräfin Victoria Goltz, in der Prager Neustadt oder bei anderen ihrer zahlreichen Verwandten und Freunde in der böhmischen Hauptstadt zu logieren. Nur wenige hundert Meter entfernt befand sich in der Alten Allee das Hotel „Zum Schwarzen Ross“, in dem Beethoven abgestiegen war; (vgl. Goldschmidt 1977, S. 179f.) Entsprechend vermuten auch die meisten Wissenschaftler, die Josephine für die plausibelste Kandidatin für die „Unsterbliche Geliebte“ halten, dass Josephine und Beethoven sich am 3. Juli in Prag wahrscheinlich zufällig, vielleicht auf der Straße, trafen. (vgl. Goldschmidt 1977, S. 180; Tellenbach 1983, S. 111; Pichler 1994, S. 277 sowie 280f; Steblin 2007, S. 170) Gestützt wird diese Hypothese durch einen Brief, den Beethoven anderthalb Wochen später, am 14. Juli aus Teplitz an seinen Freund Karl August Varnhagen von Ense schrieb, mit dem er für den Abend des 3. Juli in Prag verabredet gewesen war: „es war mir leid lieber V. den lezten Abend in Prag nicht mit ihnen zubringen zu können, ich fand es selbst für unanständig, allein ein Umstand, den ich nicht vorher sehn konnte, hielt mich davon ab“. (Ludwig van Beethoven, Briefwechsel. Gesamtausgabe, hrsg. von Sieghard Brandenburg, Band 2, München 1996, Nr. 583) Es wird allgemein angenommen, dass es die unvorhergesehene Begegnung mit der „Unsterblichen Geliebten“ war, die das geplante Treffen mit Varnhagen verhinderte. – Brigitte Massin schreibt: „Warum bezeichnet das Adjektiv ‚unsterblich‘ die Geliebte von 1812? Es erscheint niemals in den Briefen an Josephine [zwischen 1804 und 1809], Briefe, in denen die Geliebte dagegen vier Mal ‚einzige‘ genannt wird. Zu der, die man liebt, sagen, sie sei unsterblich, heißt das nicht mit darunter verstehen, daß man glaubte oder in dem Irrtum befangen war, sie zu verlieren, und daß man sie jenseits eines Schicksals des Entschwindens wiedergefunden hat? Orpheus hat zweifellos nie den Gedanken gehabt, Euridike mit dem Namen Unsterbliche zu grüßen, bevor er sie dem Reich der Schatten entrissen hatte.“ (Massin 1970, 71f.)
  47. Abgedruckt in Goldschmidt (1977), S. 405.
  48. Kaznelson (1954), Goldschmidt (1977), Tellenbach (1983), Pichler (1994). Neben Josephines zerrütteter Ehe mit Stackelberg und ihrer erwiesenen Absicht, nach Prag zu fahren, hat auch der Name der am 8. April 1813 geborenen Tochter – sie hieß mit vollständigem Namen Maria, Theresia, Selma, Arria, Cornelia, Minona; gerufen wurde sie allerdings nur „Minona“ – zu entsprechenden Spekulationen Anlass gegeben: Zum einen wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass der Rufname „Minona“ rückwärts gelesen „Anonim“ lautet, was als „paternité anonyme“ interpretiert werden könnte. (Goldschmidt 1977, S. 160 sowie Tellenbach 1983, S. 127) Goldschmidt und Tellenbach argumentieren zudem plausibel, dass der literarisch hochgebildeten Josephine der damals außergewöhnliche Name Minona sehr wahrscheinlich aus Goethes „Werther“ vertraut war. (ebenda S. 159f bzw. 127) Im „Werther“ erscheint das Skaldenmädchen Minona, Tochter eines keltischen Sängers (!), auf dem Höhepunkt des Romanes, wo Werther Lotte auf ihre Bitte hin aus dem von ihm übersetzten „Ossian“ vorliest. Goldschmidt und Tellenbach betonen, dass zwischen Beethoven und Josephine eine analoge Werther-Situation vorlag. (Was den Namen Minona angeht, so war bereits Kaznelson 1954 der Werther-Bezug aufgefallen. Zur gesamten „Werther-Diktion“ des berühmten Briefes an die „Unsterbliche Geliebte“ vgl. Goldschmidt 1977, S. 156–161.) Weitere Sinnbezüge hat Tellenbach auch bei Minonas übrigen Namen Selma, Arria und Cornelia gefunden. (Tellenbach 1983, S. 125–129. – Die Namen Maria und Theresia verweisen dagegen auf Minonas Patin Therese Brunsvik, Josephines Schwester.) Dass es sich hierbei nicht um bloße Spekulation handeln kann, zeigen Tellenbachs Funde bei Josephines übrigen Töchtern: „Die Namen, die Josephine ihren Töchtern gab, weisen alle einen Sinnbezug auf und sind nicht nur aus ästhetischen Gründen gewählt.“ (Tellenbach 1983, S. 126.) Dies gilt im Übrigen auch für die erst 2007 von Steblin entdeckte letzte Tochter Josephines, Emilie, von der Tellenbach und Goldschmidt noch nichts wissen konnten: Ihr Name kann in Anlehnung an Rousseaus Erziehungsroman „Emile“ plausibel auf ihren Vater, den Hauslehrer Andrian bezogen werden. (vgl. Steblin 2007, S. 178)
  49. Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Polizeihofstelle GZ 698/ 27 ex 1812; zit. bei Klaus Martin Kopitz, Antonie Brentano in Wien (1809–1812). Neue Quellen zur Problematik „Unsterbliche Geliebte“, in: Bonner Beethoven-Studien, Band 2 (2001), S. 115–146, hier S. 136f. PDF-Datei
  50. Vgl. Steblin (2007), S. 186, Anm. 12.
  51. Einen Zedierungsbefehl hatte er am 8. Mai 1814 beim Wiener Polizeidirektor Siber erwirkt. (Faksimile in Goldschmidt, 1977, S. 406f) Offenbar hatte Stackelberg (angebliche oder tatsächliche) Übergriffe des ältesten Sohnes Fritz gegenüber einer jüngeren Halbschwester geltend gemacht. In einem Brief vom 28. Oktober 1814 an Josephines Onkel, den ungarischen Schatzkanzler Graf Joseph von Brunsvik, der sich in einem Brief vom 9. Oktober für seine Nichte eingesetzt hatte, schreibt der Wiener Polizeipräsident Hager: „Wegen gänzlicher körperlicher Verwahrlosung jener 2ten Ehe u. aufgeschreckt durch die Gefahr, daß das Mädchen von dem Stiefbruder schon im Kindesalter verführt werde, hatte B. Stakelberg mit Beistimmung der Landrechte, Polizeiassistenz erwirkt um seine Kinder anderwärtig unterzubringen.“ Josephines Schwester Therese schrieb darauf an Hager: „Jene bösen Beschuldigungen des rachsüchtigen Stiefvaters sind Verläumdungen, die durch das Alter seiner Kinder selbst widerlegt werden … Wer könnte eine Mutter die das Beste will so kränken!“ (cit. nach Tellenbach 1983, S. 136. Der Brief Hagers wurde im Wortlauf abgedruckt in Goldschmidt 1977, S. 407f.)
  52. La Mara (1909), S. 105–107.
  53. Steblin (2007), S. 157 sowie 174.
  54. Abgedruckt in Skwara/Steblin (2007). – Das Bild von Josephines Persönlichkeit und ihrem Charakter schwankt auch in der (wenigen) Literatur über sie sehr stark: Erscheint sie in den Veröffentlichungen von Marie-Elisabeth Tellenbach primär als „edle Leidende“, so glauben Rita Steblin und Dagmar Skwara dagegen, bei ihr alle Züge einer „femme fatale“ entdecken zu können.
  55. Steblin (2007), S. 174.
  56. Tellenbach (1983), S. 137f.
  57. La Mara (1909), S. 105 sowie Steblin (2007), S. 186, Anm. 12.
  58. Vgl. Tellenbach (1983) S. 177f.
  59. Tellenbach (1983), S. 142 sowie Steblin 2007, S. 178f.
  60. a b Tellenbach (1983), S. 148.
  61. Solomon (2005), S. 73. (Beethoven hatte aufgrund einer Leistenbruchoperation seines Neffen Karl die geplante Reise nach P – t nicht antreten können.)
  62. Weitere Indizien für einen zumindest indirekten Kontakt sieht Tellenbach in der Tatsache begründet, dass Beethoven und Josephine eine Reihe von Büchern, die durch Thereses Hand vom einen zur anderen (et vice versa) gegangen sein könnten, nahezu gleichzeitig lasen. (Tellenbach 1983, S. 151–161) – Schließlich konnte Tellenbach im Nachlass Deym einen Briefentwurf Josephines vom 8. April – dem Geburtstag ihres siebten Kindes, Minona! – (sehr wahrscheinlich 1818) an einen ungenannten Mann finden, „der in Inhalt und Form nur an Beethoven gerichtet gewesen sein kann und eindeutig den berühmten Briefen aus der Frühzeit entspricht.“ (Tellenbach 1983, S. 194f, wo der Briefentwurf auch wiedergegeben ist. Er findet sich im selben Band auch vor S. 113 als Faksimile.) In diesem Briefentwurf schreibt Josephine u. a. an den Adressaten: „(…) Ich hätte diese Bruchstücke nicht geschrieben, glaubte ich nicht hierdurch einem Wunsch von dir zu begegnen, der mir nach deinen letzten Worten theuer seyn muß – Was deine Erscheinung in mein(en) Empfindungen weckt – kann ich nicht schildern (…) glücklich bist du nicht – – – – – aber betäubt – – – mit einem ernsten Blick hinaus beschäftigt – u. so ruhig – gelassen – fortschreitend zum theil – in einem zustande von negativen Glück – das Buch der Erinnerung zeigt mancherlei Farben – du hast es durchgeblättert oft – durchgesehen – gerichtet – auch dich – selbst – u. vor dem Antlize des Höchsten geprüft, dieß ist d. Juwel den du gefunden, alles übrige zerstreuung edlerer Art (…)“ (cit. nach ebenda.)
  63. cit. nach Tellenbach (1983), S. 185.
  64. Am 5. November 1816 notierte Josephines Schwester Therese in ihrem Tagebuch: „Es ist ein herzzerreißender Anblick, die gute aber schwache Josephine zu sehen, wie sie angekleidet auf dem Bette liegt u. ihre 3 Kinder um sie herum; sie ist nervenschwach u. ihre laage ist wohl kaum geeignet um selber davon zu curieren.“ (cit. nach Tellenbach 1983, S. 162.)
  65. Von einem der Winter nach 1817 berichtet Therese, Josephine habe mit ihren beiden Töchtern nur noch drei Gulden täglich zum Lebensunterhalt gehabt. (vgl. Tellenbach 1983, S. 171) – Möglicherweise hat Beethoven Josephine bis zu ihrem Lebensende sporadisch finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Dafür glaubt Tellenbach (1983, S. 194) folgende Anhaltspunkte gefunden zu haben: An Franz Brentano schrieb er am 28. November 1820: „Meine Lage ist dermalen hart und bedrängt; ... schuld bin ich selbst, Gott sei Dank, nicht daran. Meine zu große Hingabe für andere ist es ...“ (cit. nach ebenda) Am 17. Dezember desselben Jahres dankte er seinem Verleger Artaria für einen Vorschuss von 150 Gulden und bat ihn zugleich um weitere einhundertfünfzig. Am 20. Dezember drängte er Carlo Boldrini, einen Angestellten der Firma, brieflich: „Ich bitte Sie recht sehr, die Ihnen übertragene Angelegenheit nicht aufzuschieben. Der Mann ist krank, wohnt in der Adlergasse, I. Stock bei den zwölf Aposteln“; „gegenüber dem gräflich Deymschen Hause“, setzte er noch eigens dazu. (cit. nach ebenda. – Ein ähnlicher Eintrag findet sich für den April 1820 im 12. von Beethovens Konversationsheften; vgl. Kaznelson 1954, S. 265.) Tellenbach folgert daraus: „Diesen ungenannten und unbekannten Kranken erwähnt er sonst nirgends. Ob es sich um eine Deckadresse handelt, einen Menschen, der Josephine eine Summe bringen sollte? Das wäre ganz Beethovens Stil. (...) Als 1823 seine [ihm verhasste] Schwägerin Johanna krank lag, ließ er ihr durch einen Dritten Geld zukommen.“ (Tellenbach 1983, S. 194)
  66. Vgl. Tellenbach (1983) S. 173–176. – Zudem hatte Fritz im Sommer 1819 als Fähnrich durch Schulden „die Namensehre compromitirt“, die nun durch eine Summe „gelöst“ werden musste, die das Vielfache der erheblichen Reparaturschulden des Deymschen Palais von 1816 betrug. (vgl. Tellenbach 1983, S. 186f)
  67. Tellenbach (1983), S. 197.
  68. Tellenbach (1983), S. 182. – Am 12. Juli 1817 oder 1818 notierte Therese in ihrem Tagebuch: „Ob Josephine nicht Straffe leidet wegen Luigis Weh! Seine Gattin – was hätte sie nicht aus diesem Heros gemacht!“ (cit. nach Tellenbach 1983, S. 183.)
  69. Tellenbach (1983), S. 164f. – Josephine schrieb am 9. November 1816 u. a. an ihre Mutter: „Der Arzt erklärt feyerlich daß bey so wenig Pflege, Bequemlichkeit und guter Nahrung, bey sowenig Gemüths Ruhe, Frohsinn und Heiterkeit bey Nahrungs Sorgen an keine Genesung zu denken sey, und nichts als ein gewisser Todt vorauszusehen sey.“ (cit. nach ebenda.)
  70. Lorenz (2017)
  71. Tellenbach (1983), S. 198.
  72. „Daß ihn die Nachricht mit aller Wucht getroffen hat, scheint aus dem auffallenden Fehlen aller Zeugnisse aus der Zeit unmittelbar danach hervorzugehen. Es sind für das Jahr 1821 im Gegensatz zu den früheren und späteren Jahren gar keine Konversationshefte erhalten. (...) Aus der Zeit zwischen dem 14. März und dem 7. Juni 1821 ist kein einziger datierter Brief Beethovens erhalten, vielleicht auch nicht geschrieben worden. (...) Man hat Beethovens Verstummen auf seine Krankheit, eine Gelbsucht, zurückgeführt, die ihn im Frühsommer befiel und die Lebererkrankung zur Folge hatte, die wenige Jahre später seinen Tod verursachte. Aber selbst in den Monaten seiner Todeskrankheit hat er noch erstaunlich viele Briefe verfaßt. Das Schweigen in den auf den Tod Josephines folgenden Monaten ist viel eher als Depression zu deuten; und es ist zu erwägen, ob nicht infolge psychosomatischer Zusammenhänge die Krankheit bei ihm zum Ausbruch kam, weil seine Natur bis in ihre Grundfesten erschüttert war. (...) In den auf Josephines Tod folgenden Jahren äußerten sich mehrere Besucher über Beethoven, die alle darin übereinstimmten, daß sie den Eindruck von Trauer empfanden, der von seinem Wesen ausging. (...) Rossini erzählte Richard Wagner von seinem Besuch bei Beethoven im März 1824 und schilderte ihn: ‚Die Porträts, die wir von Beethoven kennen, vermitteln den Gesamteindruck ziemlich gut. Aber was kein Stift ausdrücken könnte, ist die undefinierbare Traurigkeit, die in allen seinen Zügen lag – während unter dicken Brauen wie aus dem Grunde von Höhlen Augen hervorblitzten, die, obwohl klein, einen zu durchbohren schienen. Die Stimme war sanft und ein klein wenig verschleiert.‘“ (Tellenbach 1983, S. 198f)
  73. Tellenbach (1983), S. 257–267 sowie Goldschmidt (1977), S. 294–301. Weitere detaillierte Analysen zum Thema „Musik als Biographie“ anhand der Bezüge zu Josephine Brunsvik in Beethovens Werk finden sich bei Massin (1970), Goldschmidt (1977, S. 257–351) und Tellenbach (1983, S. 205–267).
  74. Vgl. Tellenbach (1983), S. 198, die hier Beethovens Bonner Jugendfreund Gerhard von Breuning zitiert.
  75. Lorenz (2017)
  76. Aufzeichnungen Thereses vom 4. Februar 1846 und vom 17. März 1848. (cit. nach Goldschmidt 1977, S. 222) Und am 22. Dezember 1846 schrieb sie über Beethoven: „Wie unglüklich bei so viel großen Geistesgaben! – Zu gleicher Zeit war Josephine unglüklich! Le mieux est l'enemi du bien – sie beide zusammen wären glüklich gewesen (vielleicht). Ihm hat eine Frau gefehlt[,] das ist gewiß.“ (cit. nach ebenda)
  77. Massin (1970)
  78. Massin 1970, Goldschmidt (1977, S. 257–351) und Tellenbach (1983, S. 205–267).
  79. „Permanence de Joséphine dans l’œuvre de Beethoven.“ (Massin 1970, S. 135)